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  Mein Büchlein
 

Die Erinnerung

Mein Leben und Ich

Hallo, ich bin Stuart Biest. Man soll nicht denken, ich sei ein Biest, aber diesen Namen kann ich mir nun mal nicht selber aussuchen. Zu meiner Schwester passt der Name schon eher. Meine Schwester heißt Johanna und ist 11 Jahre alt. Sie hat lange blonde Haare und eine Brille. Natürlich kann sie auch nett sein. Das ist ja auch das schöne an einer Schwester. Allerdings ist es für den Älteren schwieriger, weil dieser auf die kleineren Geschwister immer aufpassen muss. Der bin ich. Der große 12-jährige Bruder.

Ich beobachte gerade eine Spinne, die an meinem Fensterrahmen krabbelt. Zum Glück ist sie außen. Spinnen verabscheue ich nämlich sehr. Diese kleine Spinne erinnert mich an das, was vor jetzt schon langer Zeit passiert war. Da spielten Spinnen eine große Rolle in meinem Leben. Allerdings keine Gute.

Das war die schrecklichste Zeit in meinem Leben, aber wie man jetzt wohl merkt, habe ich sie überlebt. Alles fing so ziemlich damit an, dass ich draußen im Garten gegen ein großes Spinnennetz lief, das am Gartentor unseres kleinen, ziemlich schäbigen Gartens gespannt war. Dort wimmelte es nur so von Spinnen und kleinen Insekten. Ich war ein absoluter Pechvogel, denn das passierte mir so oft, dass ich es nicht mehr zählen kann. Es war fürchterlich. Damals war ich 9. Ich begann zu schreien. Meine Mutter kam angelaufen und tröstete mich. Dann half sie mir die Spinnenweben zu entfernen, die an meinen blaugrünen Augen und an meinen blonden Haaren klebten. Es dauerte eine Ewigkeit, bis wir es schafften. Meine Mutter tat schon immer sehr viel für mich, obwohl sie viel arbeiten musste, weil wir nicht besonders reich waren. Auch mein Vater ging arbeiten. Er war immer fast den ganzen Tag weg, aber wo er arbeitete erfuhr ich nicht. Ich fragte danach, aber mein Vater sagte nichts, nicht einmal zu meiner Mutter und wenn wir fragten, sagte er nichts, bis wir von etwas anderem redeten.

In der Schule hatte ich nur einen richtigen Freund. Es war Steven, Steven Stonehead. Er war damals auch 9 und war auch nicht der reichste Mensch auf Erden, aber immerhin nicht so schlecht dran wie unsere Familie. Sein Haar war hellbraun und meistens ziemlich durcheinander und seine Augen waren dunkelbraun. Er war gut in der Schule und in Mathe war er sogar sehr gut. Ich dagegen war eher mittelmäßig und hatte Angst uns würden die weiterführenden Schulen trennen. Auch unsere Eltern waren befreundet und unternahmen viel miteinander.

Steven und ich trafen uns oft nach der Schule. Wir hatten viel vor und umso älter wir wurden, desto verrücktere Dinge taten wir. Ich war bereits 10 geworden und an Stevens Geburtstag wollten wir in den Zoo gehen. Zum Geburtstag bekam Steven ein Fahrrad. Es war sein Erstes und er war sehr stolz darauf. Vorher hatten seine Eltern nicht genug Geld dafür gehabt, aber dann hatten sie alles zusammen geschmissen um ihrem Sohn einen schönen 10. Geburtstag zu bereiten.

Johanna schwebte vor Glück, dass wir in den Zoo gingen und nahm auch gleich ihre beste Freundin Ellen mit. Ellen hatte wie Johanna auch eine Brille, aber dunkelbraunes Haar, das sie zu einem geflochtenen Zopf gebunden trug. Johanna ließ ihr Haar immer offen hinter sich herwehen.

Vor dem Zoo

Wir fuhren mit zwei Autos zum Zoo. In dem Einen war unsere Familie und Johannas Freundin Ellen. Es war ein sehr altes Auto, und es war oft kaputt, denn ein neues Auto war zu teuer für uns. Aber heute ging es, weil mein Vater es gestern extra reparieren lassen hat. Im zweiten Auto fuhr Steven mit seiner Mutter und seinem Vater. Am Zoo angekommen, gingen unsere Eltern allein zur Kasse um zu bezahlen. Es dauerte sehr lange, weil dort eine lange Schlage war. Johanna und Ellen spielten fangen. Meine Mutter hatte gesagt, ich solle sie im Auge behalten, damit wir sie nicht verlören. Es war an der Zeit Steven mein Geschenk zu übergeben. Ich hatte kein Geld gehabt um etwas zu kaufen, also zog ich die Alternative.

Ich bastelte etwas. Technik war eine meiner Stärken und Steven mochte Schiffe, also hatte ich einen Plan. Ich baute ein Schiff, das letztendlich sogar auf Wasser schwimmen konnte. Dies hatte ich zuvor in der Badewanne getestet. Für das Schiff brauchte ich natürlich Material. So musste ich Holz sammeln gehen, Klebstoff und Papier von meinen Eltern leihen und einiges Anderes zusammensuchen. Dann machte ich mich ans Werk, bis ein Schiff mit roten Segeln und einem gelben Smily darauf entstand. Das waren Stevens Lieblingsfarben. Das Geschenk hatte ich an dem tag dann in meinen Rucksack gesteckt, den ich auch immer für die Schule gebrauchte. Ich wollte es gerade rausholen, da erschrak ich plötzlich mit einem Ruck. Ein lauter, dröhnender Knall, der alle zusammenzucken und erstarren ließ ertönte und löste eine unheimliche Stille aus, die sich nach nur ein paar Sekunden zu einer riesigen Panik entwickelte. Ich hörte Schreie und verwirrte, angsterfüllte, Hilfe suchende Gesichter. Dann hörte ich ein lautes Stöhnen von der Warteschlange her, wo sich bereits ein Menschenkreis gebildet hatte. Ich konnte hier nicht Wurzeln schlagen. Ich musste dort hin. War es Neugier? Oder spürte ich etwas Anderes, das mich zu dem Menschenkreis zog? „Los, lauf hin!“, sagte eine Stimme tief in meinem Kopf und ich hörte ohne zu zögern darauf. Ich hatte Angst vor dem, was mich erwarten würde, doch ich lief weiter. Ich spürte, dass Steven mir folgte.

Einige Sicherheitsleute liefen jetzt umher und schauten sich von Angst und Panik erfüllt um.

Angekommen an dem Menschenansturm, drängelte ich mich durch die Personen hindurch, die flüsterten und sich voller Angst ansahen. Meine Panik stieg mir noch weiter als bis zur Kehle, als ich im inneren des Kreises ankam. Mein Vater! Er lag auf dem Boden, blutüberströmt.

Mir war schwindelig und schlecht. Ich sah nur noch verschwommen, wie meine Mutter über meinem Vater zu weinen begann. Dann kam alles raus. Ich übergab mich und schließlich drehten sich meine Augen in den Kopf hinein und ich fiel, fiel ganz weit ins Schwarze hinein. Ich schien eine Ewigkeit zu fallen.

Langsam, ganz langsam öffnete ich meine Augen. Helles Licht blendete mich und eine weiße Decke ließ mich denken, ich sei im Himmel. Doch dann ertönte eine Stimme: „ Er wacht auf!“ Ich wollte mich aufrichten, doch ich konnte nicht. „Papa …?“, flüsterte ich. „Ganz ruhig.“, hörte ich eine vertraute Stimme sagen. Meine Mutter beugte sich über mich. Ihre Augen waren rot. „Was ist passiert?“, fragte ich leise. „Du musst jetzt stark sein.“, sagte sie.

Die Ohnmacht kämpfte wieder mit mir. Ich senkte meinen Kopf, den ich zuvor erhoben hatte, zurück ins weiche Kissen des Bettes, worin ich lag. Jetzt hatte ich keine Kraft mehr. Ich konnte mich nirgends mehr bewegen. Die Worte drangen in mich ein. Ich konnte sie nicht verhindern: „Er ist tot. Er wurde erschossen.“ Eine lange Pause trat ein. Dann: „Wir müssen diese Zeit jetzt gemeinsam durchstehen. Uns bleibt nichts Anderes übrig.“ Eine erneute Pause trat ein, dann fragte ich: „Wer war das?“ „Das weiß jetzt noch keiner.“, antwortete meine Mutter, „Aber, wer immer es war er wird mächtig bestraft. Das verspreche ich dir.“

„Das kannst du mir nicht versprechen!“, schrie ich, „Du weißt es doch gar nicht. Vielleicht finden sie die nie. Und wenn schon. Nichts, gar nichts macht Papa wieder lebendig.“

„Ich weiß.“, sagte sie, „Ich weiß es doch.“ Dann nahm sie mich in den Arm. „Es ist noch etwas passiert.“, sagte sie leise, aber deutlich. „Was?“, fragte ich ängstlich. „Stevens Vater ist verschwunden. Niemand weiß, warum und wohin.“ „Ich versteh das nicht.“, flüsterte ich. Ich hatte einfach nicht die Kraft lauter zu sprechen. Nun schossen mir die Tränen aus den Augen. Ich erinnerte mich an all die Zeit, die ich mit meinem Vater verbracht hatte. Auch wenn es nicht besonders viel Zeit war. Sie war schön gewesen. Warum hatte er sterben müssen? Wer tut ihm so etwas an? Und warum verschwindet jetzt auch noch Stevens Vater?

Eine schwere Zeit

All diese Fragen ließen mich noch wochenlang nach dem Tod meines Vaters nicht los.

An einem sonnigen Tag, am Wochenende fiel mir plötzlich ein, dass ich ganz vergessen hatte, Steven sein Geschenk zu geben. Ich holte es und ging zu ihm hinüber. Er wohnte nur ein paar Häuser weiter. Wir wohnten in einem ziemlich kleinen Dorf, wo die Straßen aus einer Art Sand bestanden.

Ich klopfte an der Tür. Steven machte auf. „Hallo.“, sagte er ohne Ton in der Stimme, „Komm doch rein.“ Ich ging hinein. Dann sagte ich etwas zögernd: „Ich habe dir etwas mitgebracht. Ich habe vergessen, es dir zu geben.“ „Aha…“, überlegte er. „Hier, das ist dein Geburtstagsgeschenk. Ich hoffe es gefällt dir.“, sagte ich und überreichte ihm das Schiff.

„Oh!“, staunte er, „Danke, das ist echt klasse! Hast du das selber gemacht?“ „Ja, es kann sogar schwimmen. Ich habe es ausprobiert.“

Wir waren immer noch geschockt von dem Vorfall. Deshalb war die Stimmung den ganzen Tag über trocken. Steven vermisste seinen Vater sehr. Er hat viel mehr Zeit mit ihm verbracht, als ich mit meinem. Ich wusste, er hatte Angst, dass man ihn auch umgebracht hatte oder vielleicht hatte man ihn ja entführt? Was immer auch war, es war seltsam, seltsam und schrecklich. Niemand sagte mehr etwas. Wir dachten bloß nach.

„Wie ist das, wenn man weiß, dass …dass dein Vater…“, fragte er nach einiger Zeit vorsichtig. Ich sagte kein Wort. Es kam mir wieder hoch. Ich drehte mich um, stieß die Haustür auf und musste mich erneut übergeben. „Nein.“, sagte Steven, „Es tut mir Leid. Ich hätte das niemals fragen dürfen. Es tut mir Leid. Ich habe…ich habe nur Angst meinem Vater könnte das gleiche passieren oder vielleicht ist er ja auch schon …“ Ich ließ mich auf die Stufen vor der Haustür fallen. Ich wusste, er hat es nicht so gemeint. Ich wusste wie viel Angst er hatte, seinem Vater könne auch etwas passiert sein. Ich wusste es. Dennoch, war es mein Vater, der vor meinen Augen blutüberströmt gestorben ist. Seit diesem Vorfall träume ich jede Nacht von ihm, von meinem Vater, wie er dort liegt und stirbt.

Steven setzte sich zu mir. Stundenlang herrschte Stille. Wir schauten bloß zu, wie die Sonne hinter den Bergen ganz weit weg von uns langsam unterging.

Plötzlich fiel es mir ein: „Steven!“, schrie ich auf und er erschrak, „ Ich wusste nie, wo und als was mein Vater gearbeitet hat. Erinnerst du dich? Ich habe es dir erzählt. Vielleicht hat diese ganze Sache damit etwas zu tun. Das hätte uns doch früher einfallen müssen. Vielleicht ist da jemand, der mein Vater auf dem Gewissen hatte.“ „Jaah, aber was können wir jetzt machen?“, fragte er zustimmend. „Ich weiß es nicht.“ „Aber hör zu Stuart“, sagte er, „Egal was passiert ist, das leben geht weiter und wir müssen weiterleben. Vergiss nicht zu leben.“

„Ja.“, sagte ich, „Wahrscheinlich hast du Recht.“

Trotz allem verging Woche für Woche und nichts geschah. Stevens Augen waren traurig und so dunkel wie noch nie. Es musste doch etwas passieren.

Auch meine Mutter musste immer an die vergangene Zeit denken. Sie war sehr traurig.

Doch wir mussten verstehen, dass wir ohne meinen Vater weiterleben mussten. Steven hatte Recht. Das Leben ging weiter.

In der Schule lief es zurzeit nicht sehr gut. Wir konnten uns einfach nicht konzentrieren. Johanna hatte sich mit der Zeit auch etwas beruhigt und hat sich mal wieder Ellen zum Spielen eingeladen. Steven begann mit seinem neuen Fahrrad zu fahren. Doch er fuhr nur selten, weil ihn das zu sehr an seinen Vater erinnerte. „Vielleicht hatte dein Vater mit den selben Leuten wie meiner zu tun und ist abgehauen, um euch zu schützen!“, sagte ich, als ich mich mal wieder mit Steven unterhielt. „Ja, vielleicht, aber mich regt es auf, dass wir nichts tun können.“

Nach einiger, weiterer Zeit lief es mit der Schule wieder besser und es wand sich dem normalen Leben zu.

Ein heißer Tag

Es wurde sehr heiß. Einmal bekamen wir Hitzefrei. Steven und ich wollten zum See gehen und schwimmen. Johanna kam von hinten angelaufen, als wir gerade losgingen: „Hey, wartet! Mama hat gesagt, wir dürfen mit euch mitkommen.“ Ellen kam angelaufen und stellte sich neben Johanna. „Na gut. Von mir aus ja.“, sagte ich und wir gingen alle vier gemeinsam los.

Als wir ankamen, legten wir nur noch schnell die Sachen ab und sprangen in den See. Zuerst waren noch andere Kinder da, doch als sich die Dunkelheit über uns hinweg zog, waren nur noch wir vier da. „Lasst uns lieber auch gehen.“, sagte Steven, „Es wird dunkel. Morgen können wir doch wiederkommen!“ „Auf jeden Fall kommen wir morgen wieder“, schrie Johanna, „Das war doch total klasse hier!“ „Ja, wir kommen morgen wieder. Jetzt müssen wir aber wirklich.“, sagte ich. Wir zogen uns an. Dann gingen wir los.

Plötzlich sprangen drei schwarze Umrisse von Personen aus einer Baumgruppe. Wir erschraken mit einem Mal. Johanna und Ellen fingen an zu schreien. Ich erkannte, dass die Personen maskiert waren. Sie hatten dunkle Stimmen, deshalb ging ich von Männern aus.

Einer von ihnen packte sich die beiden Mädchen, sodass sie zu schreien aufhörten. Einer hielt eine Waffe auf uns gerichtet: Eine Pistole! Der dritte zog Steven zu sich hin und sagte rau: „Wir haben seinen Vater. Der will aber nicht mit der Sprache rausrücken. Vielleicht redet er ja, wenn wir seinen Sohn haben. Vielleicht sagt er dann, was er über uns weiß!“

„Haben sie meinen Vater umgebracht?“, sprudelte es vor Wut aus mir heraus. Das war sehr mutig und zu gleich sehr leichtsinnig von mir gewesen. „Ach, du bist der Sohn von diesem andern Kerl, der sich auch in unsere Geschäfte eingemischt hat! Fast hätte er uns auffliegen lassen, aber da haben wir ihn ja noch rechtszeitig erwischt, bevor er sich mit seinem Kollegen im Zoo treffen konnte. Weißt du was, dich können wir auch noch mitnehmen, umso mehr desto besser!“ Ich zitterte. Eine riesige Angst durchströmte meinen gesamten Körper. Doch da war auch eine Wut, eine Wut die gegen die Angst kämpfte und mich so überleben ließ. Der Mann nahm jetzt meinen Arm. Ich wollte mich wehren, doch als ich sah, dass der eine noch eine Pistole auf uns richtete ließ ich locker. Johanna schrie und Ellen schluchzte, als die Männer Steven und mich mitnahmen und die Mädchen stehen ließen. „Seid ruhig“, schrie einer der Männer den Mädchen zurück. Ich schaute zu, wie wir uns langsam von Johanna und Ellen entfernten. Die armen Mädchen. Was die alles durchmachen müssen und sie sind noch so jung. Die drei Männer sperrten uns in einen Minibus, der hinter den Bäumen gestanden hatte. Der eine stieg mit uns hinten ein und fesselte und mit Seilen. Die andern beiden stiegen vorne ein. Wir fuhren los.

Jetzt wusste ich was mein Vater für eine Arbeit hatte. Er war vermutlich Geheimdetektiv oder so etwas Ähnliches. Er hatte zusammen mit Stevens Vater die Spur der Ganoven aufgenommen und die Ganoven hatten es gemerkt. Sie wussten, dass sich mein Vater mit jemandem treffen würde, um demjenigen alles zu sagen. Also erschossen sie ihn. Stevens Vater haben sie dann entführt, als er gerade fliehen wollte .Jetzt holen sie uns, damit Stevens Vater redet. Was für ein Plan! Aber mein Vater war tot! Er musste doch tatsächlich für irgendwelche Ganoven sterben. Und meiner Mutter und mir hat mein Vater nie erzählt, als was er arbeitet, damit wir nicht in Gefahr kamen. Doch dies hatte nichts genützt. Jetzt haben sie uns mitgenommen. Vielleicht wollten sie uns ja auch töten!!!

Steven flüsterte mir zu: „Was werden sie mit uns machen?“ „Ich weiß es nicht.“, sagte ich. Ich wollte nicht sagen, was ich dachte, sonst würde Steven auch noch in Panik geraten.

Der Kleinbus hielt an. „Raus!“, sagte der Mann, der mit uns hinten gefahren war, stieß die Tür auf und schupste uns hinaus. Ich stolperte durch den Schwung, den er uns gegeben hatte und viel mit dem Gesicht in den Matsch. Steven blieb auf den Beinen. Die andern Männer stiegen auch aus und zerrten uns einen alten Kiesweg entlang. Was war jetzt wohl mit Ellen und Johanna? Waren sie bereits zu hause. Spätestens morgen würden alle nach uns suchen. Ob sie uns je finden? Können sie uns retten, bevor das Schlimmste passiert? Ich hatte so richtig Angst. Ich hatte das erste Mal in meinem Leben richtig Angst zu sterben. Wir kamen an einem ziemlich großen dunklen Haus an. Vielleicht wirkte es auch nur so dunkel, weil es Abend geworden war.

Gefangen

Hinter dem Haus ragte ein großer dunkler Wald empor. Wir gingen jetzt an mehreren Wachleuten vorbei und dann in das Haus hinein. Werde ich hier je wieder hinauskommen? Ich atmete noch einmal die frische Luft von draußen ein, bevor ich in das Haus eintrat. Eine große Eingangshalle zeigte sich vor uns. Die Männer führten uns links eine schmale Treppe offensichtlich in den Keller hinab. Vorher sagte der eine zu einem Wachmann: „Sag dem Boss, wir haben ihn und den Sohn von dem Toten.“ „Jawohl!“, sagte der Wachmann. Einer der Männer machte eine von sechs Türen auf und schupste uns in einen kleinen Kerker mit einem Gitterfenster. „Hier bleibt ihr erst einmal bis morgen.“, sagte er. „Und dann redet ihr, sonst kommt ihr nie nach Hause!“ Die Männer verschwanden.

Dass ich mit 10 Jahren so etwas erleben würde hätte ich nie gedacht. Sonst lese ich so was nur in Büchern. „Was jetzt?“, fragte Steven und setzte sich auf eine von zwei dreckigen Matratzen. „Wenn wir morgen noch hier sind“, fing ich an, „Dann kommen wir hier nie wieder raus, wie die gesagt haben. Wir müssen hier raus. Verdammt noch mal!“

„Wir können hier nicht alleine raus.“, sagte Steven, „Du hast doch die Wachleute gesehen. Vielleicht kann uns mein Vater helfen. Er muss doch hier irgendwo sein.“ „Ich glaub der hat genug Probleme. Der kann im Moment glaube ich nichts für uns tun.“ „Vielleicht hast du Recht“, sagte Steven, „Lass uns mal schauen.“ Wir schauten uns um. Nur ein Gitterfenster, die Tür und zwei abgenutzte Matratzen. „Unsere einzige Chance ist das Gitterfenster. Lass es uns versuchen!“, schlug ich vor. „Wenn es die einigste Chance ist“, fing Steven an, „Dann los!“

Wir zerrten Minutenlang am Gitterfenster. Es war nicht besonders fest. Wir bröckelten irgendwann aus der Wand ein paar Steine heraus, die groß genug waren, um gegen das Fenster zu schlagen. Nach einer halben Stunde, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, schafften wir es doch tatsächlich, das Gitterfenster so zu lösen, dass wir es rausnehmen konnten. Direkt hinter der Öffnung war der Wald. „Okay.“, sagte ich, „Ich würde vorschlagen, wir versuchen uns jetzt durch diese Öffnung zu quetschen und dann durch den Wald abzuhauen und nach Hilfe zu suchen!“

Im Angesicht der Spinnen

Daraufhin quetschten wir uns aus dem Loch und fielen auf den matschigen Erdboden des Waldes, der sich zu unserem Glück nur einen halben Meter unter uns befand. Wir rappelten uns hoch. „Der Wald ist stockdunkel“, sagte Steven ängstlich, „Was, wenn da auch Wachleute sind?“ Eine Pause trat ein, bis ich anfing: „Es ist unsere einigste Chance, Steve, wir müssen diese Chance jetzt nutzen, jetzt oder nie!“ „Du bist echt, der Mutigste, den ich kenne!“ Darauf sagte ich nichts. Wir gingen langsam zwischen den Bäumen des stockdunklen Waldes entlang. Wir konnten gerade so unsere Gesichter erkennen. Nach ungefähr einer halben Stunde waren wir so müde und kaputt, dass wir uns wagten an einen dicken Baum zu gehen und uns unter dem Schutz seiner Blätter schlafen zu legen. Ich konnte natürlich kaum schlafen, ebenso wie Steven. Wir waren viel zu durcheinander von dem, was uns passiert war. „Wir müssen weiter!“, sagte ich langsam, „Bevor sie merken, dass wir weg sind, müssen wir noch mehr Vorsprung kriegen.“ „Du hast Recht.“, stimmte Steven zu.

Also gingen wir weiter. Langsam ging die Sonne auf und es wurde heiß, sehr heiß. Der Schweiß lief mir die Stirn hinunter. „Ich verdurste.“, sagte ich mit kaum vernehmlicher Stimme. Wir hatten lange Zeit nichts getrunken. Die Ganoven hatten uns nichts gegeben und selbst hatten wir natürlich auch nichts Trinkbares oder Essbares dabei. Im Wald konnten wir auch nichts finden außer ein paar Pilzen, von denen wir allerdings keine Ahnung hatten, ob sie nicht vielleicht giftig waren. So gingen wir völlig mitgenommen und erschöpft weiter. Ich ließ den Kopf hängen und trottete voran. Steven folgte mir. Plötzlich sah ich auf dem Boden mehrere Spinnen. Es war sehr ungewöhnlich, denn es war nicht nur eine oder zwei sondern es sah aus, als wären es mindestens hundert. Ich blieb mit einem Mal stehen und Steven krachte von hinten gegen mich. „Was ist los?“, fragte er. Ich brachte nur ein schnelles, panisches, kaum verständliches Wort über die Lippen: „Spinnen!“ Dann hoppelte ich auf dem Boden herum, damit mir keine Spinne das Bein hochkletterte. Doch es kamen immer mehr Spinnen, immer, immer mehr und sie wurden größer und größer. Die größten waren ein Meter breit und einen halben Meter hoch. Gab es so etwas? Das war nicht normal! Steven sah jetzt auch die ganzen Spinnen. Er war nicht so ängstlich und geschockt wie ich und er begann auch nicht zu zittern, weil er nicht so abweisend auf Spinnen war, doch selbst er riss den Mund auf und versuchte die Spinnen abzuwimmeln. Jetzt zitterte ich noch mehr. Drei der Riesenspinnen stürzten sich auf mich und klapperten mit ihren Greifzangen. Das gab es nicht! Ich wollte weg nur weg. Doch ich fiel zu Boden. Ich schrie und zappelte und zitterte und konnte nicht mehr damit aufhören. Es war für mich nicht auszuhalten. Ich wirbelte mit den Armen umher. Steven stand noch aufrecht und er hatte sich einen Stock besorgt, mit dem er auf die Riesenspinnen eindrosch. Auch meine Spinnen schlug er. Sie schienen tatsächlich Angst vor ihm gehabt zu haben. Wahrscheinlich wegen des Stocks. Eine Riesenspinne und viele Kleine waren noch auf mir. Steven schlug die Letzte mit einem gewaltigen Bogen von mir herunter und zog mich von der Lichtung weg, die ich jetzt erst bemerkte. Ich zuckte noch sehr heftig und ich beruhigte mich nur sehr langsam. Steven hatte es geschafft. Er hatte genug Mut gehabt. Ich nicht. Meine Augen waren noch weit aufgerissen, als ich nach Minuten endlich zu zittern aufgehört hatte. Noch immer konnte ich kein Ton rauskriegen, so also redete Steven: „Wie können diese Spinnen nur so anfällig auf Menschen sein? Und so groß noch dazu? Jemand muss sie überernährt haben und anfällig auf Menschen gemacht haben. Das sind vermutlich die Bewacher dieses Walds, weil die menschlichen Wächter zu schade dafür sind. Diese Ganoven haben die Spinnen hier hingebracht und so erzogen. Das ist das einzige, was ich mir denken könnte, wie das hier sein kann.“ Ich sah Steven jetzt wieder etwas schärfer und bemerkte, dass sein Gesicht völlig verkratzt war. Vermutlich von den Greifzangen. An meinem Gesicht und an meinen Armen spürte ich jetzt auch Schmerzen. War ich gelähmt gewesen, dass ich nicht einmal Schmerz empfinden konnte? Wie auch immer, jetzt nahm ich wieder alles wahr und nachdem Steven mir auf die Beine geholfen hatte, konnten wir weitergehen, wenn auch mühsam. „Meinst du, wir schaffen es?“, fragte ich plötzlich. „Wir können es schaffen. Wir müssen nur Hilfe finden.“, sagte Steven.

Neue Kraft und weitere Schwierigkeiten

Es vergingen zwei, drei Stunden. Wir schleppten uns voran, bis wir eine Stimme hinter uns hörten, die uns erneut zusammenzucken ließ. Nein, nicht wieder verloren! Wer ist das? Nein, bitte, lass uns entkommen! Langsam, voller Furcht drehten wir uns um und waren erleichtert. Es war Stevens Vater: „Ihr?“, fragte er vollkommen überrascht. Er sah überhaupt nicht gut aus. Seine Kleider waren zerrissen und er hatte einen blutigen Riss knapp unter seinem dunkelbraunen Haarschopf. „Wie kommt ihr denn hier her?“, fragte er. Er war völlig aus der Fassung, doch direkt im nächsten Augenblick fielen sich Vater und Sohn in die Arme. „Alles in Ordnung Stuart?“, fragte er danach. „Den Umständen entsprechend.“, antwortete ich. Steven und ich hatten so viel Fragen, doch wir konnten nicht stehen bleiben. Wir mussten weiter. So gingen wir also und auf dem Weg erfuhren wir von Stevens Vater, dass Steven Recht gehabt hatte. Die Spinnen waren die Wächter des Waldes und eine Sache, weswegen die Ganoven Stevens Vater entführt und meinen Vater getötet hatten, denn solche Kreaturen über zu ernähren und anschließend auf Menschen loszulassen war natürlich verboten. Außerdem erzählte er uns noch, dass sie den Ganoven wegen Drogenhandels auf der Spur gewesen waren und dass er vor ein paar Stunden geflohen war und auch wie wir durch den Wald entkommen ist. „Sie könnten uns jedoch trotzdem noch finden. Deshalb müssen wir schnellstmöglich ein Telefon finden.“, sagte er, „Wenn meine Kollegen das Haus finden, haben wir sie! Dann ist alles aus für sie und ich weiß, wo es sich befindet und ihr jetzt natürlich auch ungefähr.“

Wir hörten Geräusche. „Hört sich nach Autos an!“, vermerkte ich und lief voraus. Es stimmte. Wir waren an einer Straße angekommen. Langsam schlichen wir uns zwischen den Bäumen hervor. Auf der anderen Straßenseite war eine Tankstelle. „Da müssen wir hinüber, auch wenn es ein Risiko ist, weil die Ganoven uns dort schneller finden können. Wir müssen telefonieren und wir brauchen ein Auto.“ Wie abgemacht überquerten wir die Straße. Auf der Tankstelle war fast kein Mensch. Wir wollten gerade ein Telefon suchen, da ertönte eine laute, deutliche Stimme: „Hey, ihr, bleibt stehen!“ Das waren sie wieder. Ich wollte nicht zurück. Ich wollte nach Hause. Ich wollte, dass alles vorbei ist und wieder gut wird.

Es waren fünf und sie rannten auf uns zu. „Was jetzt?!?“, schrie Steven panisch. Sein Vater reagierte sofort. Er kippte einen Eimer voll Wasser in Richtung der Ganoven aus um sie abzulenken und stieß die Tür eines Autos auf, dessen Besitzer offenbar gerade im Tankstellenhäuschen bezahlte. „Ihr geht hinten rein!“, sagte er. Wir taten wie geheißen und hatten mächtig Glück im Unglück, dass der Schlüssel steckte. Ganz knapp bevor uns die Fünf einholten raste das Auto los. Wir schauten aus dem hinteren Fenster hinaus und sahen mit entsetzten Blicken, dass sie uns mit einem anderen Auto folgten. „Befolgt meinen Anweisungen, dann kann euch nichts passieren, Jungs, vertraut mir einfach! Duckt euch am besten, falls sie schießen.“ Wir duckten uns und ich streckte die Hände über meinen Kopf aus um mich zu schützen. Ohne Stevens Vater hätten uns die Ganoven jetzt vielleicht schon wieder geschnappt. Ein Glück, dass wir nicht alleine waren. Immer noch hatten wir nichts getrunken und im Auto schien auch nichts zu sein. Hoffentlich schafften wir es! Ich schaute Steven in die Augen und dachte dabei an meine Familie. Wir waren schon zerrissen. Noch weiter durfte uns niemand Zerreißen und eine andere Familie gab es auch noch, die gefährdet war, Stevens. Ein lautes Klirren riss mich aus meinen Gedanken. Die Ganoven hatten wirklich geschossen und sie Scheibe zerplatzte jetzt. Es fielen immer mehr Scherben auf uns herab, die uns Wunden und Kratzer einbrachten. Ich fühlte mich wie im Krieg und hielt mir die Ohren zu. Meine Hand begann auf Einmal kräftig zu bluten. Die Scherben hatten sie aufgerissen. Steven holte schnell ein Taschentuch aus seiner Tasche und gab es mir. Ich hielt es auf meine Hand. Das Taschentuch färbte sich rot mit meinem Blut. Wir fuhren jetzt viele haarsträubende Kurven und fuhren den Ganoven so langsam davon. Plötzlich bog Stevens Vater auf einen Rastplatz mit Tankstelle ab und versteckte das Auto hinter einer Baumgruppe. Sonst war der Platz wie verlassen. Nur ein paar Bedienstete waren im Gebäude zu sehen. Die Ganoven fuhren am Rastplatz vorbei und wir atmeten tief durch.

Zu Hause

Schnell stiegen wir aus und Stevens Vater telefonierte mit seinem Kollegen, der sofort eine Spezialeinheit zu dem Haus schickte, in das sie uns entführt hatten. „Wir sollen hier im Tankstellenhäuschen warten. Ein paar Polizisten kommen und holen uns ab, um uns nach hause zu bringen. Wenn die Spezialeinheit am haus ist, fliegt alles auf. Da braucht ihr euch keine Sorgen zu machen.“, sagte Stevens Vater beruhigend.

Zwanzig Minuten später sahen wir zwei Polizeiautos ankommen. In dem einen waren die fünf Ganoven, die uns verfolgt hatten. Die Polizei hatte sie tatsächlich geschnappt. Die zwei Beamten im anderen Auto teilten uns mit, dass die Spezialeinheit alle hat auffliegen lassen und niemand entkommen lassen hat. Das Haus wurde erfolgreich gestürmt.

Steven und ich stiegen in das Auto mit den zwei Polizisten. Stevens Vater folgte uns. Dann fuhren wir nach Hause. Es war ein gutes Gefühl. Wir hatten es tatsächlich überstanden. Ich konnte es kaum glauben. Ich dachte an die vergangenen Tage und Wochen. Was alles passiert war. Es hätte von Anfang an nicht passieren dürfen. Wenn doch nur alles so wäre wie früher, dann hätte ich noch meinen Vater und wir wären eine glückliche, wenn auch arme Familie gewesen. Diese Zeit war jetzt aber vorbei. Ein neues Leben musste beginnen. Ich musste einfach vergessen. Alles vergessen konnte ich natürlich nicht, zum Beispiel meinen Vater. Aber ich musste abhaken und weiterleben, wie Steve gesagt hatte.

Als erstes kamen wir bei Steven an. „Bis morgen!“, sagte er. Ich sagte nichts sondern nickte nur. Ich war zu gespannt, was mich erwarten würde, wenn sich die Tür zwischen mir und meiner Familie öffnen würde. Bei mir kam der Polizist noch mit hinaus. Wir klopften an unsere Tür. Sie ging auf, ganz langsam und mein Herz pochte und pochte.

Johanna stand dort, traurig zu Boden starrend und dann hob sie den Kopf. Ihre Augen wurden groß und, ich konnte es kaum glauben, ein Lächeln erstreckte sich über ihr Gesicht. Oh, wie lange hatte ich dies an ihr nicht mehr gesehen. Wir fielen uns in die Arme. Auch meine Mutter tauchte jetzt in der Tür auf und dann umarmten wir uns alle drei. Der Polizist kam noch kurz mit uns rein und nahm nur noch wenige Aussagen von uns auf. Dann ging auch er.

Tage vergingen. Dann trafen wir uns mit Stevens Familie und redeten, redeten ein letztes Mal über das, was passiert war. Danach fiel kein Wort mehr davon. Stevens Vater wurde befördert und unsere Familie erhielt eine Geldsumme wegen den Verdiensten meines Vaters. Man konnte echt sagen, dass es uns besser ging. Doch das Opfer, das wir dafür geben mussten, war einfach zu groß gewesen, dass wir es lieber so gehabt hätten wie früher.

In der Schule wurde es besser und schließlich schafften es Steven und sogar ich aufs Gymnasium.

Das war die Erinnerung, an die vermutlich schlimmste Zeit in meinem Leben, die mich nie verlassen wird. Aber ich führe jetzt ein ganz normales leben und werde es sicher noch genießen können. Ich habe auch letztens ein Mädchen kennen gelernt. Vielleicht wird daraus ja noch etwas.

The end

Autor: Annika

 
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